31.08.2021 00:54
Der praktische Nutzen der Ethologie


Der praktische Nutzen der Ethologie

In Ausbildungen zum Hundetrainer und in Seminaren für Hundehalter wird immer wieder auf die wichtige Bedeutung der Ethologie - also der vergleichenden Verhaltensforschung von Wild- und Haustieren - hingewiesen. Wie verhalten sich Wölfe oder verwilderte Hunde in ähnlichen Situationen, die wir bei unseren Haushunden kennen?

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Viele Experten glauben, dass in der Beschreibung des natürlichen Verhaltens von Wölfen der Schlüssel zur Lösung des Problemverhaltens von Hunden liegt. Hundehaltern und Trainern wird in Büchern und Seminaren zum Ausdrucksverhalten des Hundes bzw. des Wolfes vermittelt, dass eine Veränderung des hündischen Verhaltens nur möglich ist, wenn man die Zusammenhänge in der vermeintlich unberührten Natur kennt und diese dann auf das Zusammenleben mit dem Haushund überträgt.

Zunächst ist es wichtig festzustellen, dass sich ethologische Forschung mit dem Verhalten von Hunden oder anderen Caniden untereinander beschäftigt. Vergleichende Studien zum Verhalten des Hundes mit dem Sozialpartner Mensch aber fehlen. Es existieren Theorien zum Thema, diese werden allerdings von Forschern selbst in Frage gestellt, da eine rein subjektive und emotional geprägte Deutung von Hundeverhalten dem Menschen gegenüber nicht von der Hand zu weisen ist. Im Moment, in dem wir Hundeverhalten in der Interaktion mit Artgenossen beschreiben und dieses dann auf Mensch und Hund übertragen, laufen wir Gefahr, aus menschlich-emotionaler Sicht die Motivation des Hundes zu bewerten. Das ist ein Dilemma, welches den Nutzen vergleichender Studien von Caniden für die Umerziehung von Fehl- oder Problemverhalten von Haushunden zunichte macht.

In Lehrinhalten zum Tierpsychologen oder Hundetrainer wird immer wieder auf die Bedeutung dieser Zusammenhänge hingewiesen. Lehrmeinungen werden unreflektiert wiedergegeben, längst überholte Modelle und Theorien über das Lernen und Verhalten einfach kopiert, Hundeverhalten verkompliziert und falsch ausgelegt. In der Praxis wird versucht, die Kommunikation bzw. Körpersprache von Caniden untereinander zu imitieren, es wird unterworfen oder man versucht über Beschwichtigungssignale den Hund zu kontrollieren. Mit fatalen Folgen für alle beteiligten Menschen, die auf diese Art und Weise versuchen, Problemverhalten ihres Vierbeiners in den Griff zu bekommen, oft mit der Begründung, dass Hunde und Wölfe dies in einem Rudel ebenso machen.

Eine völlig falsche Annahme, denn in einem gewachsenen Rudel mit klarer Hierarchie stellt kein Rudelmitglied eine bestehende Ordnung in Frage. Beobachtungen an frei lebenden und gewachsenen Rudeln von Wölfen haben gezeigt, dass die Rangordnung nicht durch dominierende Gesten von ranghohen zu rangniederen Tieren festgelegt wird, sondern genau umgekehrt. Rangniedere Tiere reagieren im Kontakt mit Ranghohen immer mit aktiver oder passiver Unterwerfung, zeigen also von sich aus das Bestreben, die bestehende Ordnung nicht in Frage zu stellen. Die Meinung, der Hund warte nur auf einen günstigen Moment, um seinen Menschen zu dominieren, ist falsch, hält sich aber leider hartnäckig.

Ist ein Hund nun in der Lage, einen Menschen zu dominieren? Natürlich ist er das! Der Hundehalter ist aus Sicht des Hundes in erster Linie Sozialpartner und damit eingebunden in sein Bedürfnis nach geklärten Rangordnungs- und Ressourcenverhältnissen im Rudel.

Nun ist aber mit der Fähigkeit zu dominieren untrennbar eine zweite, dem Hund angeborene Verhaltensweise verbunden - die Bereitschaft zur Unterordnung. Das bedeutet aber, dass der Hund die Entscheidung zwischen Dominanz oder Unterordnung nicht alleine fällen kann, er benötigt hierzu den Sozialpartner Mensch. Hundehalter stehen oft vor dem Problem entscheiden zu müssen, welcher Trainer oder Therapeut die Qualifikation hat, den problemgeplagten Hund umzuerziehen. Auf der Suche nach einem seriösen Anbieter fallen meist Slogans wie „nach neuesten kynologischen Erkenntnissen“ oder „basierend auf ethologischer Forschung“. Auf den ersten Blick vermitteln diese Werbebotschaften den Eindruck von Professionalität, wissenschaftlicher Arbeit und Seriosität.

Wo aber sind die Erkenntnisse ethologischer Forschung und kynologischer Workshops, wenn am Hund mit Kopfhalfter, Rütteldose, Anti-Bellhalsband, Stachelwürger, Leinenruck, Anschreien, Wurfkette oder Ähnlichem gearbeitet wird? Muss man bei all der Vermenschlichung und Gefühlsduselei hier nicht eher von psychischer Misshandlung des Beutegreifers Hund sprechen?

Die Suche des Hundes nach biologisch sinnvollen Assoziationen

Für die Ethologie ist es wichtig, was ein Hund im Kontakt mit seinen Artgenossen tut, warum er das tut und was es beim Gegenüber auslöst. Das ist interessant, um Erkenntnisse über den eigenen Hund zu erlangen. Nun stehen wir aber Situationen gegenüber, in denen wir den Hund nicht unkontrolliert agieren lassen dürfen. Selbst wenn wir eine Antwort auf die Frage bekämen, warum der Hund das oder jenes tut, hilft uns das nicht einen Schritt weiter. In der reinen Beschreibung von Hundeverhalten oder - wie Experten es nennen - Verhaltensbeobachtung, ist die Problemlösung nicht enthalten.

Selbst wenn Sie feststellen, dass Ihr Hund unsicher oder sogar ängstlich ist, dass er die Wohnungstür, den Gartenzaun oder das Fenster gegenüber fremden Besuchern verteidigt, wird nicht etwa das eigene Verhalten in Frage gestellt, sondern sofort mit Ausreden gekontert. Es liegt an der schlechten Vergangenheit des Hundes, er kommt aus Spanien, aus dem Tierheim oder er wurde in der Welpenspielgruppe gebissen. Aber wie geht es weiter? Sie haben das Verhalten des Hundes beschrieben, auch die Erklärung dafür geliefert und doch ändert sich nichts.

Der Grund dafür ist einfach zu finden: weil Sie Ihren Hund mit seinem Problem alleine lassen und ihm Aufgaben übertragen, mit denen er hoffnungslos überfordert ist. Der einzige sinnvolle Ansatz, am Verhalten des Hundes etwas zu verändern, beginnt beim Menschen. Haben Sie sich eigentlich schon einmal die Frage gestellt, was der Hund will? WILL er wirklich an der Leine ziehen? WILL er bellen, beißen, Angst haben? Ist es nicht eher so, dass er das tun MUSS, weil Sie ihm diese Verantwortung nie abgenommen haben?

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